Cyrill Luchsinger, CX Profi

CX und Content: Die Magie der kleinen Momente

Das grosse Glück liegt oft in den kleinen, alltäglichen Momenten. Was für ein Glück! Denn von diesen Mikromomenten gibt es weitaus mehr als von den grossen Highlights. Dies gilt sowohl für Beziehungen wie auch für Kundenbeziehungen. Wir haben den Customer-Experience-Themenführer Cyrill Luchsinger zum Interview getroffen und gefragt, wo man diese vielen kleinen Glücksmomente kreieren kann. Die Antwort? «Im transaktionalen Content». Ein Gespräch über die grosse Wirkung kleiner Botschaften und den Beitrag kundenzentrierter Kommunikationsinhalten zum Unternehmenserfolg.

Cyrill, von dir stammt der Ausspruch «Ohne Kommunikation keine Interaktion». Um eine Reaktion, eine Bestellung, einen Download, eine Newsletter-Anmeldung, ein Engagement der Kund:innen hervorzurufen, müssen wir mit ihnen kommunizieren. Welche Rolle spielt das sogenannte Content Marketing auf der Kundenreise, auf der Customer Journey?

Die Kommunikationsinhalte sind ein wichtiger Erfolgsfaktor auf der Customer Journey. Sie müssen einfach, klar und intuitiv sein. Kein:e Kund:in informiert sich proaktiv über die Dienstleistungen von Unternehmen. Es wird im Aftersales oder Kundendienst aus der Innensicht heraus zu viel implizites Wissen vorausgesetzt. Aber die Realität der Kund:innen sieht ganz anders aus. Sie wollen situativ in einer Alltagssituation ihr Problem lösen, und sich nicht erst auf zig Webseiten und Portalen über Self-Service-Angebote informieren.

Um dies am Beispiel einer Sendungsumleitung zu veranschaulichen: Vielleicht möchte ein:e Kund:in den Service nutzen. Wenn sie dafür aber zuerst ein Profil anlegen muss, dann ist das Thema, das zwischen zwei Meetings oder während einer kurzen Tramfahrt stattfinden muss, gelaufen. Hier dienen kleine, zur Situation passende Inhalte, damit die Kund:in den Aufwand abschätzen und den Fortschritt sehen kann.

 

Das führt uns zu einer besonderen Disziplin im Content Marketing: dem transaktionalen Content. Welche Bedeutung misst du ihm bei?

Am besten lässt sich die Bedeutung anhand einer Flugreise beschreiben, die über mehrere Touchpoints und Devices hinweg von Kund:innen erlebt wird. Kund:innen wollen ihre Daten nur einmal eingeben und dann digital an den nächsten Touchpoint weitergeleitet und dabei begleitet werden. Die begleitende Interaktion entspricht einem dringenden Kundenbedürfnis. Deshalb ist der transaktionale Content eines der wichtigen Themen in der CX. Mehr noch, er entscheidet über den wirtschaftlichen Erfolg. Unternehmen können beeinflussen, wie sie ihren transaktionalen Content gestalten. Jene, welche die wichtigsten Kernprozesse sauber designen und gegenüber ihren Kund:innen proaktiv kommunizieren, sind klar im Vorteil. Die anderen verlieren bei jeder Transaktion Geld, indem sie teure Retouren und Anrufe im Kundendienst generieren und genervte Kund:innen an die Konkurrenz verschenken.

«Jene Unternehmen, die ihren transaktionalen Content bewusst gestalten, die Kernprozesse sauber umsetzen und gegenüber ihren Kund:innen proaktiv kommunizieren sind klar im Vorteil. Die anderen verlieren mit jeder Transaktion Geld, indem sie teure Retouren und Anrufe im Kundendienst generieren und genervte Kund:innen an die Konkurrenz verschenken.» Cyrill Luchsinger

Was braucht es, um Kund:innen situativ zur richtigen Zeit, am richtigen Ort mit der richtigen Information, den richtigen Inhalten abzuholen?

Es braucht eine solide technologische Grundlage und Kommunikation, um zu begeistern! Kommunikation ist persönlich möglich, aber auch mit automatisierten, transaktionalen und unpersönlichen Dienstleistungen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der CX-Prozess mit adäquatem Inhalt abgefüllt werden muss. Der Content schreibt sich nicht von selbst. Er muss interdisziplinär konzipiert und hergestellt werden. Kommunikationsfachleute und UX Writer sind im transversalen Zusammenwirken mit Fachleuten aus CRM, Customer Service, UX, Brand Management und CX gefordert, die Erwartungen der Kund:innen zu verstehen und inhaltlich auszugestalten, sprich viele kleine, positive Mikroerlebnisse zu designen. Das Bewusstsein, dass diese Disziplin ein sehr integraler Prozess ist, ist in vielen Unternehmen noch nicht vorhanden. Oft schreiben Product Owner oder Informatiker die transaktionalen Texte für die Webseiten oder Apps. Da erstaunt es nicht, dass es an einer durchgehenden Sprache fehlt, was zu Missverständnissen und hohen Kosten führt.

 

Wie können Unternehmen dieser Falle entkommen?

CX ist eine Kunst, mit Menschen zu kommunizieren, sich an Kundenmeinungen auszurichten, sie zu erforschen. In den letzten Jahren hat die technische Seite massiv aufgerüstet. Die Herausforderung liegt heute nicht in der Technologie, sondern beim Menschen und deren kooperativer Gestaltung. Der einfache Paymentprozess von Amazon ist ein gutes Beispiel für Kooperation. Heute ist er der Standard und wird auch von anderen Portalen erwartet. Im Erwartungsmanagement geht es darum, die Aussensicht (Outside-In-Perspektive) einzunehmen, sich in die Kundenperspektive hineinzuversetzen, um daraus wiederum Kundenerwartungen zu modellieren. Am entsprechenden Touchpoint – und das ist das Anspruchsvolle – muss ein technisches oder organisatorisches Stück Content hinterlegt sein, damit die Kundenerwartung erfüllt wird.

 

Wie spielen deiner Erfahrung nach Content Creators und CX-Experten am besten zusammen?

Erwartungsmanagement und Modellierung der Customer Journey passieren nicht so nebenbei im Tagesgeschäft. Idealerweise werden im Rahmen von Projekten von Beginn weg die entscheidenden Kompetenzen und Fähigkeiten eingebunden. Mein Wunsch ist, dass man auch die Kommunikation sehr früh einbindet. Bei der Kommunikation kann man differenzieren, welche Art gefragt ist, beispielsweise inhaltliche Content-Leute oder technisch orientierte UX-Funktionen. Ich bin begeistert vom UX Writing. Das ist einer der wichtigsten Skills, wenn es darum geht, Kund:innen viele automatisierte Glücksmomente im Alltag zu bescheren und gleichzeitig nicht wertstiftende Kontakte zu vermeiden.

 

Frei nach dem Motto «The Best Service Is No Service”?

Absolut! Nicht immer erwarten Kund:innen Kommunikation, und nicht immer wünscht das Unternehmen Kommunikation (vgl. Value Irritant Matrix, Nils Hafner). Bei Produkten oder Services mit kleiner Marge geht es darum, Dialoge überflüssig zu machen sowie Prozesse und Content zu automatisieren. Es muss von Beginn an klar sein, welche Strategie und welches Konzept man fahren will. Es macht einen grossen Unterschied, einen Dialogprozess oder einen automatisierten Prozess zu modellieren. Oftmals fehlt die strategisch-konzeptionelle Einordnung und man zielt direkt auf die Lösung ab. Hinzu kommt, dass auch die Markenwahrnehmung implementiert sein muss. Grundsätzlich kommunizieren Kund:innen mit Marken.

Quelle: Prof. Dr. Nils Hafner

 

Wie sollen Unternehmen vorgehen?

Da sind wir beim springenden Punkt: Ideal ist es, den Zusammenhang zu sehen, aber die Dinge Schritt für Schritt anzupacken und Erfahrungen zu sammeln. Am Ende des Tages geht es selbst beim grössten Unternehmen um eine überschaubare Anzahl von fünf bis sieben Kernprozessen und deren Begleitprozessen. Es ist keine Hexerei, aber das Zusammenwirken scheint eine Herausforderung zu sein. Unternehmen fokussieren sich auf das Produkt. Aber wer nicht kommuniziert, begeistert nicht.

 

Was kann die kommunikative Teildisziplin UX Writing deiner Ansicht nach bewirken?

UX Writing kann Wunder bewirken! Es handelt sich dabei um die Kunst, Texte so zu gestalten, dass sie für User:innen klar, verständlich und zielführend sind. Diese kleinen, transaktionalen Inhalte haben die Kraft, Kontakte und Reklamationen zu reduzieren, Zeit, Geld und unerfreuliche Erlebnisse zu sparen und das Kundenerlebnis zu bereichern. UX Writing kann auch im Storytelling mit einem durchgängigen, sauber abgestimmten inhaltlichen Kontext Kund:innen Schritt für Schritt begleiten. Voraussetzung ist, dass es keine Medien- oder Workflow-Brüche gibt, welche Kund:innen aus der Bahn werfen. Das hybride Zeug ist Mist. Es mag im Übergang ok sein, für eine Passkopie den Prozess zu unterbrechen. Aber in der heutigen Zeit ist das eigentlich nicht mehr akzeptabel. Es gibt Systeme, die das können. Der bessere gewinnt.

 

Welche Touchpoints werden als Content-Lieferanten auf der Customer Journey unter- und welche überschätzt?

Mit fällt auf, dass die Suchfunktionen oft richtig schlecht und die Help-Funktionen generell sehr vernachlässigt sind. Wenn man Glück hat und eine E-Mail-Adresse findet, kommt als Antwort «Do not reply» – aus CX-Sicht ein Alptraum. Fehlermeldungen werden ebenso vernachlässigt, wie leider auch oft der Checkout-Prozess. Das ist fatal, denn wenn ein Unternehmen weiterexistieren will, muss es Umsatz generieren – Apps und Webshops sind schliesslich auch nicht gratis. Und dann ist es so weit: die Kundin oder der Kunde will bezahlen, und es funktioniert nicht. Das ist tragisch. Ebenfalls unterschätzt werden die Kommunikation und Zusammenarbeit in Unternehmen. Was intern passiert, resultiert im Produkt. Das bekommen die Kund:innen zu spüren. Kommunikation leistet in der Gestaltung einen wesentlichen Beitrag. Sie wirkt wie ein Spiegel nach aussen.

 

Und welche Touchpoints werden überschätzt?

Das ganze Kommunikations-Blabla auf Webseiten, in PDFs, auf Foldern usw. Mindestens so wichtig wie Hochglanzbroschüren ist, dass sich die einzelnen Touchpoints durch ein hohes Mass an Intuition und durchgängiges Storytelling, das sich aufbaut und mit den Kund:innen mitwächst, auszeichnet. Das Kundenerlebnis ist dann erfolgreich, wenn man Kund:innen Schritt für Schritt durch ihre Journey navigiert. Eine Fortschrittskontrolle zeigt, wo man steht und verhindert, dass Kund:innen mitten im Prozess abbrechen und nie mehr zurückkehren.

 

Wie muss Content beschaffen sein, dass er «Transaktionen immer wieder begehrenswert» macht?

Das Geheimnis liegt in der Klarheit; Klarheit darüber, was der nächste Schritt ist und Verlässlichkeit, was danach passiert. Wenn Klarheit herrscht, kann man auch mal ein paar Tage warten. Es muss nicht immer das grosse Überraschungspaket sein. Ein geschlossener Kommunikationsprozess kann Kundenerwartungen erfüllen, indem er Kund:innen immer wieder abholt und weiterführt. Im E-Commerce gibt es dazu sehr schöne Beispiele.

 

Dort geht es ja neben der Customer Experience auch oft um Weiterempfehlungen. Kann Content Kundenempfehlungen triggern?

Die nächste Stufe der Kundenzufriedenheit ist die Loyalität. Das passende Stück Inhalt kann dazu beitragen, dass Kund:innen die Services und Produkte besser nutzen können und aus ihrer Begeisterung heraus für Weiterempfehlungen sorgen. Aus Begeisterung werden Kund:innen zu Botschaftern. Oder wenn eine Reklamation exzellent bearbeitet wurde. Die Reklamationsbehandlung ist eine grossartige Kommunikationschance – und ebenfalls völlig unterschätzt. Wenn man den Kund:innen zuhört, ihr Anliegen ernst nimmt, ihnen eine Lösung anbietet, die praktisch und nützlich ist, hat man gewonnen!

 

Drei Tipps von dir, damit Content die CX beflügelt?

Content muss klar, wertschätzend und verlässlich sein. Es geht darum, Zusammenhänge zu verstehen. In der Praxis beobachte ich häufig, dass alle Experience-Disziplinen isoliert voneinander agieren. Eine gute Experience hingegen ist integral. Sie ist das Ergebnis von Kooperation. Nicht die Kundin, der Kunde oder die Konkurrenz machen den Firmen einen Strich durch die Rechnung, sondern die intern errichteten Silos. Diese wieder abzubauen, wird die nächste Herausforderung sein.

 


Ziemlich beste Freunde: Content und CX. Wo kann man sich weiterbilden?

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Über Cyrill Luchsinger

Ihm kann keine:r ein U für ein X vormachen: Was unter X wie Experience läuft und was tatsächlich Customer/User Experience ist, weiss Cyrill Luchsinger zu unterscheiden: Der frühere CX Lead der Schweizerischen Post zählt mit knapp 20’000 Followern zu den einflussreichsten CX-Themenführern im deutschsprachigen Raum. Seine integrierte Expertise teilt er regelmässig in Interviews, an Kongressen und auf LinkedIn. Als ehemaliger Kommunikationschef weiss er um die Bedeutung von Content und UX Writing – und wie wichtig deren Verzahnung mit anderen CX-Disziplinen ist. Interessiert an Austausch? https://www.linkedin.com/in/cyrill-luchsinger/

Claudia Gabler

Co-Founder & CCO

Kundenzentrierte Kommunikatorin. PR- und Customer-Care-Profi mit Erfahrung als Image- und PR-Beraterin in guten wie in Krisenzeiten.